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Esther Schnerr

Ausstellung der Abschlussarbeit

Kunsthistorikerin Lara Schoorl über die Abschlussarbeit
von Esther Schnerr.

Als stünden wir am Abgrund der Welt, in einem unveränderlich ruhigen Moment, der zum Nachdenken darüber auffordert, was war und was kommen wird. So fühlt sich Esther Schnerrs Abschlussarbeit nach einigem Studium an, denn ihre Zeichnungen brauchen Zeit, um sich eine eigene Vorstellung zu formen und zu Verständnis zu gelangen. In einem monochromen Spiel von Hell und Dunkel, Realismus und Abstraktion sehen wir Bilder, die wir zu kennen glauben, aber nicht erkennen können. Zwölf monumentale Werke; jedes eine konzeptuelle Ruine, die mit einer äußerst begabten Technik verkleidet ist. Die gobelinartigen Werke laden uns ein, näher heranzukommen, mit unzähligen akribischen und vertikal schattierten Linien, die manchmal organische, manchmal architektonische, aber immer zerbrechliche Bilder von scheinbar verlassenen Orten bilden.

Die Bilder sind zerbrechlich wie eine Erinnerung, die langsam verblasst.

Dennoch herrscht keine Panik; vorerst sind diese gezeichneten Bilder fiktiv. Es ist die Größe der Werke, die uns zunächst überwältigt, aber einmal näher gekommen, weicht die räumliche Überwältigung vorübergehend der Stille. Die Schönheit und vor allem die Erkennbarkeit einzelner Elemente wie Luftblasen, Flora, Mollusken und Raubtiere, Gebäude und sogar bestimmter Linien an sich bieten den Raum, die Bedeutung selbst zu gestalten und dann Abstand zu nehmen, um die Erkenntnisse am Ganzen zu überprüfen. Dieses Werk erzählt, vor allem aber hört es zu.

Es steht fest, dass die Werke großartig sind. Dies zeigt sich auch an den Themen, die den Zeichnungen zugrunde liegen: das Cambrische Meer, das Karbon, Flugzeugkatastrophen, Weltstädte, Entwaldung und Überschwemmungen. Obwohl bestimmte Ereignisse die Idee eines Werkes beeinflussen und Schnerr Collagen aus vorhandenem Bildmaterial zu Kompositionen zusammenstellt, haben ihre Hand und das Werk bald die Oberhand über den Ausgangspunkt der Zeichnung. Allenfalls im Titel des Werkes findet sich der Rest dieser Ereignisse. Seit frühester Kindheit hegt Schnerr eine große Bewunderung für die (geologische) Geschichte der Welt; eine Leidenschaft, die zunehmend von Gefühlen der Traurigkeit und des Bedauerns über eine – für immer – verlorene Schönheit gequält wird. So gesehen werden ihre Werke zu einer stillen, aber nichtsdestotrotz ausgesprochenen Form des Protests. Inmitten der eigenen Kraft des Werkes hören wir die Sorge der Künstlerin.

Das Schweigen selbst erweist sich als ein wichtiges Motiv in Schnerrs Werk; nicht nur im Sinne der Zeitlosigkeit, die diese Schnappschüsse (wie Fotografien) haben, sondern auch in der Tatsache, dass der Mensch in all ihren Werken auffallend abwesend ist.

Diese Abwesenheit kennzeichnet sich durch eine bemerkenswerte Dichotomie. Die Werke beziehen sich auf eine Zeit, in der der Mensch noch nicht existierte, oder auf eine Zeit, in der dieser Mensch nicht mehr da zu sein scheint - letzteres wahrscheinlich als Folge seiner vormaligen zerstörerischen Präsenz, die sich in den eingestürzten Gebäuden oder verlassenen Wolkenkratzern zeigt. In dieser Serie von Zeichnungen sehen wir die Erde als eine Erinnerung und als eine imaginäre Zukunft, in der eine stille Einsamkeit allgegenwärtig ist; eine schmerzhaft schöne Allegorie unserer Welt als ewige Ruine.

Lara Schoorl,

Kunsthistorikerin 20 juli 2020